Die letzte Fahrt der R32

StephenMallon-10Redbirds nennen die New Yorker liebevoll die alten U-Bahn-Garnituren aus den 60er-Jahren. Die markanten Waggons in sattem, graffiti-resistentem Dunkelrot verfügen jedoch leider über ein kleines Problem: in den Wänden der Züge wurde zur Wärme- und Schalldämmung jede Menge krebserregender Asbest verarbeitet. Bis weit in die 70er-Jahre wurde Asbest gern als Dämmstoff verwendet. Die gesundheitsgefährdenden Eigenschaften des Materials waren damals noch nicht bekannt. Nach 40 Jahren Dauerbetrieb und vielen Tausenden Kilometern durch das weitflächige U-Bahn-Netz der Metropole, ist daher fachgerechte Entsorgung der U-Bahn-Züge extrem kostspielig. Die Garnituren ins Ausland zu verkaufen stieß auf vielfältige Hürden. Weder Pakistan, noch Indien oder Rumänien wurden zu Abnehmern, weshalb dieser Plan wieder verworfen wurde.
Und so verfielen die Betreiber der New Yorker Metro schließlich auf die Idee, die ausrangierten Waggons ganz einfach im Meer zu versenken. An die 1300 Redbirds haben vor der Küste von Delaware, Georgia , New Jersey, South Carolina und Virginia seit dem Jahr 2001 ihre letzte Ruhestätte gefunden. In den Tiefen des Atlantiks dienen sie nun als künstliche Riffe Krebsen, Muscheln und Fischschwärmen als neue Wohnstätte. Doch die Redbirds befinden sich in guter Gesellschaft. Sie gesellen sich auf dem Meeresboden zu 400 ausrangierten Panzern vom Typ Sheridan und M60, sowie hunderten kleineren Kuttern und Schiffen. Je nach Bauart 15 bis 20 Meter lang, drei Meter breit und 3,70 Meter hoch sind die schicken Apartments für die Meeresbewohner. Und diese nehmen die extravagante Behausung tatsächlich wohlwollend an. Austern und andere Muscheln brauchen festen Untergrund, um zu wachsen. Diesen finden sie in den U-Bahn-Zügen zu genüge. Auch viele Fischarten finden hier Zuflucht und Unterschlupf.

Seit 2001 läuft das Projekt, und bis heute beobachten Biologen einen 400-fachen Zuwachs an Plankton und unterschiedlichsten Meerestieren in den entsprechenden Abschnitten des Atlantik. Auch bei Fischern stieß diese ungewöhnliche Recyclingmethode auf große Zustimmung, weil sich auf den versenkten Zügen Muscheln und Würmer ansammeln, die Makrelen, Barsche oder Flundern anlocken, und so hervorragende Fischgründe entstehen lassen.

Gegnern und Kritikern entgegnet David Ross von den New Yorker Verkehrsbetrieben, dass das Asbest in Epoxidharz eingebunden sei, und das hält nach seinen Worten „noch Jahrzehnte dicht“. Auch die staatlicheEnvironmental Protection Agency gibt an, dass die Asbestanteile in den Waggons unter Wasser vollkommen unbedenklich seien.
Doch ein Ende neu angelegter U-Bahn-Riffe ist in Sicht: Die letzten geeigneten Waggons sind noch bis etwa 2017 in Betrieb. Neuere U-Bahn-Garnituren enthalten zu viele Kunststoffe und sind daher nicht für eine Entsorgung im Meer geeignet.

Ein kurzes Video zeigt die letzte Fahrt der Waggons und wie sich das Leben am Meeresgrund in den ausrangierten Zügen entwickelt.

Aber nicht nur Redbird cars der Baureihen R26, R28, R29, R33 Main Line usw. finden ihr nasses Grab im Atlantik. An den Atlantikküsten ruhen auch die berühmten, aus vielen Filmen bekannten Brightliners, die ersten in den Jahren 1964-65 in Massenproduktion gefertigten U-Bahn-Züge aus rostfreiem Stahl.
In seiner bemerkenswerten Serie ‘Next Stop Atlantic’ zeigt der New Yorker Fotograf Stephen Mallon die letzte Fahrt der R32.

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Alle Fotos © Stephen Mallon

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